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Beliebte Klänge für mehr Freude

Musik aktiviert die Sinne, hebt die Stimmung und weckt Erinnerungen.

Aus guten Gründen hören ältere Menschen gern Volkslieder, Chansons und Schlager: Vertraute Melodien schaffen einen Ausgleich im Alltag.

VON EVELYN BEYER

Eine Schallplatte hat sie aufbewahrt, eine mit orangefarbenem Label: „Marina“, Version von Will Brandes. „‚O Irma, o Irma, o Irma, du bist ja die Schönste der Welt‘, hat mir Lothar beim Tanz ins Ohr gesungen“, schüttelt sie amüsiert den Kopf. „Ich bin dahingeschmolzen.“ Ein Jahr später, 1962, war die Hochzeit. „In unserer Liebe war immer Musik drin“, sagt die 81-jährige Irma Büttner und ihr Mann Lothar, 84, nickt. Beim Tanztee lernten sie sich kennen: „Zu ‚Ganz Paris träumt von der Liebe‘, Foxtrott konnte er am besten“, sagt sie. „Dann kam ein Tango, ‚Wenn abends die Heide träumt‘ von Willy Schneider“, schmunzelt er, „Tango konnte ich gar nicht. Aber weglaufen ging nicht, bei der hübschen Partnerin.“ Das ist ihre Kennenlerngeschichte, immer wieder schön. 
Musik kann lebensbegleitend sein; oft rufen wenige Töne innere Bilder wach und wecken Gefühle. Viele Erinnerungen sind damit verknüpft, an Feiern, Verliebtheit, manchmal auch an Trost: „Wie oft habe ich mir ‚Liebeskummer lohnt sich nicht‘ vorgesungen“, sagt Irma Büttner. Verse und Melodien haften im Gedächtnis. Sogar Menschen, die mit dem Vergessen kämpfen, kennen oft alle Strophen alter Lieder wie „Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“ – 1960 mit Elvis Presley ein Hit.

Verse von großen Gefühlen und Sehnsucht

© istockphoto.com/LightFieldStudio

Als Irma und Lothar Büttner jung waren, klang die ganze Sehnsucht der Wirtschaftswunderzeit in der Musik mit. Da packte man endlich sorglos mit der kleinen Conny die Badehose ein und träumte mit Rudi Schurickes „Capri-Fischer“ von der roten Sonne über dem Meer, Lale Andersen besang die Sehnsucht nach dem einen auf dem Schiff, Freddy Quinn das Heimweh des Matrosen auf See. Ein dezent fremder Akzent war schick – etwa bei Bill Ramseys „Souvenirs, Souvenirs“. 

Aufbruch und Abschied, Liebe und Leidenschaft, Freiheit und ferne Länder: Große Gefühle wurden in eingängige Verse gebracht und mit Melodien versehen, die auch auf dem Kamm geblasen funktionieren – das war für Peter Kraus’ Musikproduzenten Gerhard Mendelson das Kriterium für einen Hit. 
Texte und Musik der Schlagerwelt malen heitere bis kitschig schöne Bilder; blaue Berge, rote Rosen und griechischer Wein gehen ans Gemüt, bieten kleine Alltagsfluchten an: „Man müsste noch mal zwanzig sein …“

Das Alter bestimmt den Musikgeschmack

Dass Schlager und Volkslieder bei älteren Menschen beliebt sind, ist kein Zufall. Der Musikgeschmack wächst und reift mit uns, fanden Forscher heraus. Die Universität Cambridge beobachtete 250000 Testpersonen zehn Jahre lang und stellte klare Phasen fest. So sind Rebellion und Identitätsfindung in der Pubertät entscheidend, die Musik soll aufbegehren. Als junge Erwachsene suchen wir dann die Verbindung zu anderen, klinken uns in zeitgenössische tanzbare Stile ein. Bevorzugt werden bald weichere Richtungen; nicht mehr das Ich, sondern die Beziehung zum Du steht im Vordergrund, die Akzeptanz, die Liebe. Sind Beruf und Familie etabliert, beginnt eine Hinwendung zu anspruchsvoller Musik, zu Klassik oder Jazz. Sozialer Status, Intellekt und Wohlstand werden so zelebriert. 

Bald aber wächst der Wunsch nach emotionalem Ausgleich für die Anstrengungen des Alltags. Irgendwann müssen wir nichts mehr beweisen, wir wählen Klänge, die uns gerade guttun, zum Mitträumen oder Mitsingen. Wie Volksmusik, Oldies und Schlager. Schon das Anhören von Musik, die man mag, kann die Stimmung verbessern und Verbindungen zu anderen Menschen stärken, zeigen Ergebnisse der Hirnforschung. 

Steigern lässt sich der Effekt mit Bewegung. In einer Studie lernten 38 Teilnehmer zwischen 63 und 80 Jahren ein halbes Jahr lang neue Choreografien. Im Vergleich zu Nichttänzern wurden bei ihnen wichtige Netzwerke im Gehirn verdichtet, die neuen Schrittfolgen stärkten nicht nur den Körper, sondern auch das Denken. Tanzen kann das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, um 76 Prozent vermindern, fand die Stanford-Universität heraus.

 

© istockphoto.com/Zinkevych

Musik gemeinsam genießen

Irma und Lothar Büttner haben Tanzturniere absolviert, bis das erste Kind kam. Jetzt, im zwangsweise stillen Winter, haben ihnen die alten Lieder gutgetan. „Immer sonntags nach Kaffee und Kuchen machen wir die Anlage an“, sagt Irma. Die ist digital und idiotensicher – dank der Enkel, berichtet Lothar. Mal stellt er, mal sie das Programm zusammen, sie lachen über Gus Backus’ „Babysitter Boogie“ und stimmen in Lys Assias „Oh mein Papa“ ein. Manchmal, bei einem Foxtrott oder Walzer, schieben sie ein paar Stühle beiseite und tanzen ganz für sich. „Wir üben“, lächelt Irma Büttner, „nächstes Jahr ist diamantene Hochzeit.“

 

Erstveröffentlichung des Beitrags im GDA-Magazin "Meine Zeit" | Ausgabe 01-2021 mit dem Titel “Beliebte Klänge für mehr Freude”

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