Handschriftlich verfasste Briefe zeugen von persönlicher Wertschätzung
Die Geschichte des persönlichen Briefes geht viele Jahrhunderte zurück. An Bedeutung hat er für Absender und Empfänger dennoch nie verloren.
VON CAROLIN MÜLLER
Die Schreibtischlampe ist angeknipst, das Briefpapier mit dem schönen Blumenmuster, das Luise Wagner einst in Wismar im Sommer 1990 kaufte, liegt bereit. Die Pensionärin zieht die oberste Schublade ihres Schreibtischs auf und holt ihren alten Füllfederhalter hervor. Die 75-Jährige möchte ihrer langjährigen Freundin Johanna ein paar Zeilen aus ihrem Alltag schreiben.
„Normalerweise treffe ich mich regelmäßig mit meinen Freunden im Café“, erklärt die ehemalige Grundschullehrerin. Doch aufgrund des Coronavirus habe sie die persönlichen Verabredungen stark reduzieren müssen. Um dennoch mit ihren Liebsten in Kontakt zu bleiben, hat sie das Briefeschreiben wiederentdeckt. Über Handschriftliches mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben, empfindet sie als eine „willkommene Abwechslung zum Telefonieren und weit persönlicher als eine getippte E-Mail“.
Briefe enthalten mehr als nur Worte
Briefe wurden schon vor vielen Jahrzehnten dafür genutzt, um in schwierigen Zeiten mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg war die Feldpost das einzige Kommunikationsmittel für Soldaten an der Front, um mit ihren Liebsten in Verbindung zu bleiben, ihnen ein Lebenszeichen zu senden und Hoffnung durch deren Antworten zu schöpfen. Und auch während des Kalten Krieges, als Familien und Freunde durch die Mauer zwischen DDR und BRD getrennt waren, hielten diese ihre Beziehungen mit Briefen aufrecht. Viele Jahrzehnte war der Brief ebenfalls das Mittel der Wahl, wenn Verwandte oder Freunde in Übersee lebten. Die Kosten für ein Telegramm oder Telefonat in die Ferne waren bis zur Jahrtausendwende noch so hoch, dass sie sich nicht jeder leisten konnte.
Ohnehin war die handschriftliche Korrespondenz mit Nahestehenden bis zur Kommerzialisierung des Internets Ende der 1990er-Jahre gängige Praxis, ebenso wie Weihnachtsbriefe oder Brieffreundschaften zwischen Urlaubsbekanntschaften oder einstigen Schulkameraden.
Einer der wohl bekanntesten und auch bedeutendsten Briefwechsel der deutschen Geschichte fand zur Zeit der Weimarer Klassik zwischen Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe statt. Die beiden Dichter verband eine enge Freundschaft und sie unterstützten sich gegenseitig im Schaffen ihrer Werke. Laut einer Statista-Umfrage in Zusammenarbeit mit YouGov zum Welttag des Briefeschreibens aus dem Jahr 2017, der immer am 1. September stattfindet, pflegen noch heute 18 Prozent der Deutschen Brieffreundschaften auf klassischem Wege.
Briefe, die das Leben verändern
Ein Lächeln huscht Luise Wagner über das Gesicht, als sie sich an den wichtigsten Brief ihres Lebens erinnert: den Liebesbrief an ihren Ehemann Oscar. Mit 17 Jahren lernten sie sich beim Tanz im Nachbarort kennen und verliebten sich. Um dem jungen Mann mit den schönen Augen ihre Liebe persönlich zu gestehen, fehlte der quirligen Blondine der Mut. „Deshalb schrieb ich ihm einen Brief, in dem ich meine Gefühle offenbarte.“ Mit Erfolg. 52 Jahre sind sie und Oscar bereits glücklich verheiratet.
„Gut, dass meinem Vater das Briefgeheimnis heilig war“, sagt die Seniorin und erinnert sich daran, wie der strenge Landwirt den Liebesbrief an Oscar einst in die Hände bekam, bevor sie ihn abschicken konnte. „Hätte er ihn geöffnet und gelesen – er hätte mich den Brief wohl nicht versenden lassen“, schmunzelt sie. Das Briefgeheimnis ist bereits seit Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahre 1949 unverändert in Artikel 10 verankert. „Hätte er sich darüber hinweggesetzt, mein Leben wäre vielleicht nicht so wunderbar verlaufen.“
Erstveröffentlichung des Beitrags im GDA-Magazin "Meine Zeit" | Ausgabe 03-2020 mit dem Titel “Geschriebene Worte, die berühren”