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Weißt du noch?

Die Erinnerungen an das eigene Leben machen unsere Persönlichkeit aus

Die erste große Liebe, der verkorkste Urlaub und der schönste Erfolg im Job – manche Ereignisse bleiben für immer im Gedächtnis. Das ist gut so. Unsere Erinnerungen prägen unsere Persönlichkeit. Aus ihnen können wir auch viel Kraft ziehen.

VON BERT STREBE

Vor einem Jahr ist Hermine Winter* über ein Buch gestolpert, in dem ältere Menschen den Enkeln aus ihrem Leben erzählen. Das kann ich auch, dachte sich die heute 75-Jährige. So schrieb sie auf, was sie erlebt hatte. Sie schrieb von ihrem Vater, der Lokführer war. Von der Mutter, der beim Hühnerfüttern immer eine vorwitzige Henne auf den Kopf flatterte. Dass man damals Sonnenbrand mit Mehl bepudert und Milch lose in der Kanne gekauft hat. Hermine Winter erinnerte sich an tausend Kleinigkeiten. Aristoteles hat geglaubt, dass das Gedächtnis zusammen mit der Seele im Herzen wohnt. Inzwischen wissen wir: Es wohnt im Gehirn.

Wenn Hermine Winter sich an ihren Vater auf der Lok oder an das Plumpsklo ihrer Großeltern erinnert, senden 100 Milliarden Nervenzellen im Gehirn, Neuronen genannt, über Botenstoffe elektrische Impulse an benachbarte Zellen. Und zwar in ganz speziellen Folgen und Rhythmen, die jeweils für einzelne Aspekte der Erinnerung stehen. Ein Aspekt beispielsweise steht für das Gesicht des Vaters im Lokfenster, einer für die Geräusche der Lok. Einer für den Geruch im Toilettenhäuschen, einer für das Knirschen der Scharniere. Aus solchen Aspekten setzt das Gehirn das gesamte Bild zusammen. In Bruchteilen von Sekunden. Wir erinnern uns nicht an ein Bild, sondern an Tausende von Einzelteilen – es gehören stehende Bilder dazu, laufende wie ein Film, Geräusche und Gerüche. Und wenn die Erinnerung zurückkommt, werden alle Verbindungen zwischen den Nervenzellen wiederhergestellt, die damals, als Hermine Winter den Vater auf der Lok gesehen hat, beteiligt waren.

Starke Gefühle helfen, Ereignisse als Erinnerung zu speichern.

Starke Gefühle helfen, Ereignisse abzurufen. Wobei es von Vorteil war, wenn die kleine Hermine ihren Vater öfter auf der Lok gesehen hat: Je häufiger sich ein Erlebnis wiederholt, desto dichter wird das Netz der Neuronen, die damit zu tun haben, und desto dauerhafter wird die Erinnerung. Ereignisse, die mit Gefühlen verbunden sind, merken wir uns besonders gut.

Je stärker die emotionale Anteilnahme am Ereignis ist, um so stabiler wird es gespeichert. Biologisch läuft solches Erinnern gar nicht gefühlsmäßig ab, sondern sehr nüchtern: Für die gefühlsmäßige Bewertung unserer Erinnerungen ist ein Teil des Gehirns zuständig, der Amygdala oder Mandelkern heißt. Die Amygdala ist eng mit dem Hippocampus verbunden – jenem Teil des Gehirns, der bei der Gedächtnisbildung eine zentrale Rolle spielt. Unser Gedächtnis ist, grob gesagt, in drei Abteilungen gegliedert. 

Unser Gedächtnis unterteilt sich in mehrere Abteilungen

Zum einen gibt es das „sensorische Gedächtnis“, das Reize für Bruchteile von Sekunden speichert. Etwa Autos, die vorüberfahren.

Was wichtiger ist, kommt ins Kurzzeitgedächtnis. Diese Abteilung sichert Informationen für eine kleine Weile, oft nur einige Sekunden. Wir wollen ja, wenn uns jemand etwas erzählt, noch den Anfang des Satzes im Kopf haben, wenn der Erzähler am Ende angekommen ist.

Im Langzeitgedächtnis dagegen speichern wir, was wir dauerhaft behalten. Hier gibt es noch mal verschiedene Unterabteilungen.

Im „episodischen Gedächtnis“ ist der erste Kuss abgelegt, aber auch, was wir gestern gegessen haben.

Im „semantischen Gedächtnis“ ist unser Faktenwissen gespeichert. Wie man Kartoffeln kocht, was im Duden steht, wo wir ihn abgestellt haben.

Darüber hinaus gibt es das „prozedurale Gedächtnis“, in dem antrainierte Bewegungen beim Zähneputzen oder Fahrradfahren stecken.

Manche Dinge speichern wir nur für Minuten im Langzeitgedächtnis. Andere für das ganze Leben.

Der Dichter Jean Paul hat geschrieben, die Erinnerung sei „das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können“. Niemand kann uns unsere schönen Erinnerungen nehmen. Die schlechten allerdings auch nicht. Wie auch immer: Ohne unser Gedächtnis wären wir verloren, wären haltlose Figuren in einer verrinnenden Zeit. Der Mensch ist die Summe seiner Erfahrungen.

Sich zu erinnern ist ein gutes Gedächtnistraining

Sich zu erinnern trainiert den Kopf – und reaktiviert Gefühle. Die Mannheimer Psychotherapeutin und Ratgeberautorin Doris Wolf empfiehlt, sich regelmäßig schöne Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen: Wie war das Wetter, wo saß ich, was genau war so schön, was habe ich gedacht? Das trainiere den Kopf und bringe die positiven Empfindungen zurück. Damit fühlen wir uns dann auch in der Gegenwart wohl.

*Name von der Redaktion geändert

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